Nummer 161.896 - Der letzte Häftling von Dachau | Die Story | Kontrovers | BR24
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 Published On Apr 27, 2022

Am 27. April 1945 kommt der letzte registrierte Häftling ins Konzentrationslager Dachau. Zwei Tage vor der Befreiung durch die Amerikaner. Er ist ein Pole und bekommt die Nummer 161.896. Woher kam er? Warum musste er ins KZ? Was ist aus ihm geworden? Wir fangen an zu suchen. Die Recherche führt uns durch halb Europa, über Frankreich bis nach Polen, in die düsteren Jahre des Zweiten Weltkriegs, in eine Spionagegeschichte und zur Familie des Häftlings mit der Nummer 161.896.

Der Name Mieczyslaw Charecki. Geboren am 8.12.1915 in Leningrad. Vor dem Namen steht "Sch" für Schutzhaft. Charecki war also politischer Häftling, kein Jude. Und dann ist noch ein "P" verzeichnet. Er war Pole, obwohl er in Leningrad zur Welt gekommen war.

Die Puzzlestücke von Chareckis‘ Biografie zeugen von Krieg, Krankheit und Tod. Aber es ist auch eine Geschichte vom Überleben. Zufällige Festnahme Bis zu seiner Befreiung aus dem KZ Dachau hat Charecki eine grausame Odyssee durch insgesamt drei Konzentrationslager hinter sich. Am 2. Januar 1944 wird er im KZ Majdanek inhaftiert. In der heutigen Gedenkstätte ist ein Fragebogen archiviert, den Charecki 1974 ausgefüllt hat – wahrscheinlich um Rentenansprüche geltend zu machen. Darin beantwortet er unter anderem die Frage, warum er ins KZ musste. Am 15. September 1943 sei er in einem Zug in Minsk verhaftet worden.

Er sei auf dem Weg zur Arbeit gewesen, dann habe es eine Explosion in dem Zug gegeben, erklärt er in dem Fragebogen. Mit ihm wurden 26 weitere Männer festgenommen. Anna Wójcik ist Archivarin in der Gedenkstätte, sie erklärt: "Charecki schreibt, dass er auf dem Feld III war. Dieses Feld wurde von den Häftlingen als Todesfeld bezeichnet, weil die Lebensbedingungen dort so schwierig waren." Todesfeld - das heißt: Terror der SS. Gewalttätige Kapos. Krankheit und Hunger. Von Januar bis März 1944 ist Charecki hier, bis er ins KZ Natzweiler-Struthof im besetzten französischen Elsass deportiert wird. Sechs Wochen im Krankenrevier Ab 1941 inhaftiert die SS in Natzweiler und den Außenlagern 50.000 Menschen. Mieczyslaw Charecki liegt sechs Wochen nach seiner Ankunft im Krankenrevier. René Chevrolet von der KZ-Gedenkstätte schildert die unhygienischen, menschenunwürdigen Zustände von damals: "Die Zahl der Kranken war im Sommer 1944 so hoch, dass eine Baracke für sie nicht mehr ausreicht. Sie lagen in Dreifachstockbetten übereinander. Viele waren an der Ruhr erkrankt. Wenn also ein Häftling der ganz oben lag, Durchfall hatte, dann fielen die Exkremente auf die Körper und Gesichter der darunter Liegenden."

Von Mieczyslaw Charecki ist ein detailliertes Dokument erhalten: Sein Krankenblatt. Darauf ist seine Fieberkurve verzeichnet und der Vermerk, dass er an einem Magengeschwür litt sowie schweren Husten hatte. Es gibt sogar eine Skizze seiner Lunge. Der Lagerarzt war davon ausgegangen, dass Chareckis‘ Lungenprobleme vom Arbeiten in einem Tunnel herrührten. Vieles spricht dafür, dass es sich um den Tunnel von Sainte-Marie-aux-Mines handelt. Hier sollen die Häftlinge einen bestehenden Eisenbahntunnel zu einer Werkshalle umbauen, um entsprechend vor Luftangriffen geschützt zu sein. Schwerstarbeit für die Häftlinge. Zwölf Stunden pro Tag. Schienen rausreißen, Steine schleppen, den Boden betonieren. "Vernichtung durch Arbeit". Den ganzen Sommer 1944 schuftet Charecki hier. Den Tunnel gibt es noch, inzwischen führt eine Schnellstraße hindurch. Der letzte Häftling von Dachau

Autor: Christian Stücken, Thomas Muggenthaler

Kontrovers-Sendung vom 27.04.2022

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